Als Bundeskanzler der Republik kennt Christian Kern keine Privatsphäre. Das ist auch leicht erkennbar daran, dass er auch auf seiner privaten Facebook-Seite über seine Politik schreibt und die Texte mit “Christian Kern” abschließt. In einem Text zur Notwendigkeit seiner Forderung eines Mindestlohns argumentiert Kern unter anderem:

Das Beispiel Deutschland hat gezeigt, dass ein Mindestlohn keineswegs Arbeitsplätze kostet.

Dazu gibt es, wie so oft in der Wissenschaft, viele Studien, deren Ergebnisse nicht unbedingt einen Konsens kennen. Eine Untersuchung der Mindestlohn-Erhöhungen in den Vereinigten Staaten zeigte, zitiert nach dem DGB-Pressedienst:

Mindestlohn-Erhöhungen in den Vereinigten Staaten haben, so die drei Forscher, zwischen 1990 und 2006 stets ihr anvisiertes Ziel erreicht. Fast immer verdienten Niedriglöhner nachher besser, die Arbeitgeber haben sich an die staatlichen Vorschriften gehalten. Vor allem aber reagierten die Unternehmen auf Anhebungen der Lohnuntergrenze nie mit so vielen Entlassungen, dass sich die Arbeitslosigkeit erkennbar erhöhte. 

Eine Studie von Gerhard Bosch und Claudia Weinkopf wiederum wertet Daten zu den Branchen aus, die in Deutschland von der Änderung betroffen waren. Diese kommt zu differenzierten Ergebnissen:

  • Mindestlöhne haben keine signifikanten Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau, wohl aber auf die Beschäftigungsstruktur.
  • In Branchen, die ihre zuerst niedrigen Löhne auf den Mindestlohn erhöhen mussten, ging die Zahl der Arbeitsplätze zurück.
  • Insgesamt blieb die Beschäftigung gleich, da Branchen mit hohem Lohnniveau wiederum mehr Leute einstellten.

Eine Presseaussendung des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (die zum Deutschen Gewerkschaftsbund gehört) fasst die Auswertung der Veränderungen in Deutschland so zusammen, dass die Zahl der Mini-Jobs gesunken und die Beschäftigung in Niedriglohnsektoren gestiegen sei.

Die “Presse” berichtet über eine Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die zu etwas pessimistischeren Schlüssen kommt. Rund 60.000 Jobs mehr hätten ohne einen Mindestlohn entstehen können – wobei das Jobwachstum trotzdem positiv ausfiel, mit einem Plus von über 400.000 Beschäftigten. Weiters bemerkt die “Presse”: “Rund zehn Prozent der von der Einführung des Mindestlohns betroffenen Betriebe berichteten davon, bei Einstellungen zurückhaltender zu sein, weniger als fünf Prozent der Betriebe von Entlassungen.” Außerdem lässt die Studie darauf schließen, dass Menschen länger angestellt werden als vor der Einführung des Mindestlohnes.

Die Bewertung ist hier also schwierig. Einerseits hat Christian Kern durchaus damit recht, dass der Mindestlohn Deutschlands positive Entwicklung nicht gestoppt hat und dass dadurch kein großer Schaden entstanden ist. Dennoch kann der Mindestlohn die Schaffung von Arbeitsplätzen hemmen. Auch, wenn Christian Kern sich durchaus auf Studien beziehen kann, um seine Mindestlohn-Forderung zu argumentieren, beurteilen wir die Aussage “Das Beispiel Deutschland hat gezeigt, dass ein Mindestlohn keineswegs Arbeitsplätze kostet” als falsch.

Fotocredit Christian Kern (Kleines Bild): BKA / Andy Wenzel