Sebastian Kurz wurde am Samstag zum neuen Bundesparteiobmann der ÖVP gewählt. Am Parteitag hielt er eine Rede, in der er die hohen Steuern kritisierte:

“Wie lange kann man Steuern stetig erhöhen und wann funktioniert es einfach nicht mehr?

Wir haben heute eine Situation in Österreich, dass ein Automechaniker fast neun Stunden arbeiten muss, bis er von seinem Gehalt sich eine Stunde eines Installateurs leisten kann. Und umgekehrt: Der Installateur – wenn er es nicht im Pfusch macht -, der muss sogar 13 Stunden arbeiten, bis er sich eine Stunde bei einem Automechaniker verdient hat.

Es gibt wenig Länder auf dieser Welt, wo die Differenz zwischen Brutto- und Netto-Gehalt so groß ist wie in Österreich.”

Diese Behauptung ist nicht neu. Schon am einige Wochen vorher twitterte die ÖVP:

Zuerst einmal müssen wir wissen, was ein Installateur oder Kfz-Mechaniker verdient. Laut AMS-Gehaltskompass beträgt das Einstiegsgehalt eines Automechanikers 1.960 bis 2.180 Euro. Für einen Installateur weist der Gehaltskompass denselben Wert aus. Der Einfachheit halber rechnen wir mit 2.180 Euro.

Nun wird in Österreich Arbeit in der Regel nicht nach Stunden, sondern pro Monat gezahlt. Will man den Monats- oder  Jahreslohn auf Stunden herunterrechnen, muss man sich mehrere Fragen stellen: Soll man Urlaubs-, Weihnachtsgeld und Urlaubsentgelt miteinbeziehen? Wie sieht es mit Krankenständen oder Überstunden, oder Nachtzuschlägen aus? Wir rechnen in unserem Beispiel mit einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden (die in beiden Kollektivverträgen vereinbart ist) die wir mit 47 (52 minus 5 Urlaubswochen) multiplizieren – macht 1.809,5 Arbeitsstunden pro Jahr. Zuschläge und Krankenstände lassen wir raus. Netto verdient ein Installateur oder Automechaniker inkl. Sonderzahlungen 22.374,03 Euro. Pro Stunde sind das 12,36 Euro.

Wie viel kostet nun eine Arbeitsstunde bei diesen Handwerkern? Die Arbeiterkammer Wien hat 2015 einige Installateure getestet. Laut ihnen kostet eine Installateurstunde zwischen 68,80 Euro und 99,00 Euro, der Durchschnitt liegt bei 82,90 Euro.

Die Arbeiterkammer Oberösterreich hat sich vergangenes Jahr die Preise für eine Automechanikerstunde angesehen. Die Preise bei den 145 Werkstätten schwankten zwischen 48 Euro bis 136 Euro, im Durchschnitt kostet eine Stunde 87,68 Euro.

Ein Kfz-Mechaniker muss also 6,7 Stunden arbeiten, damit er sich für eine Stunde einen Installateur leisten kann. In dieser Hinsicht hat Sebastian Kurz also recht. Ein Installateur muss umgekehrt nur geringfügig länger, nämlich 7,1 Stunden, jobben, damit sich ein Automechaniker eine Stunde sein Auto ansieht.

Man muss natürlich beachten, dass es sich hier um eine Rechnung mit vielen unbekannten Variablen handelt. Werkstätten können viel teurer sein und ein Handwerker kann nach einigen Jahren Berufserfahrung viel mehr verdienen. Auf welchen Zahlen die Rechnung der ÖVP basiert, ist uns deren Pressestelle bis heute übrigens schuldig geblieben.

 

Wesentlich ist aber, dass Sebastian Kurz – und auch die ÖVP in ihrem Tweet – die hohen Steuern dafür verantwortlich macht. Was sie dabei übersehen: Eine Arbeitsstunde besteht nicht nur aus Lohn und Steuern. Der Unternehmer muss nämlich nicht nur den Arbeiter und seine Lohnnebenkosten bezahlen, sondern auch das Werkzeug mit dem er arbeitet, den Sprit für das Auto, mit dem er zum Kunden fährt und die Miete für die Werkstatt. Dazu kommen Kosten für Buchhaltung, Marketing und Löhne für Standzeiten.

Das sollte die ÖVP als Wirtschaftspartei eigentlich wissen. Die Rechnung von Kurz ist schwer nachprüfbar, da es viele Unbekannte in der Gleichung gibt. In unserer Berechnung sind wir von den Zahlen Kurz’ weit entfernt. Den großen Unterschied zudem nur mit zu hohen Steuern zu begründen, ist schlichtweg falsch.

EDIT 05.07. 00.45: Berechnung des Stundenlohns überarbeitet

Fotocredit Sebastian Kurz (Kleines Bild): Ailura (Wikimedia Commons) | CC-BY-SA 3.0