UN-Migrationspakt? Diese Debatte hatte Österreich doch schon vor Monaten. Bei “Im Zentrum” lebt sie aber wieder auf. Die Regierung und die Opposition sprachen über ein Jahr Regierung und die Lieblingsthemen dieser: Migration und Sicherheit.

Es war eine chaotische Diskussion. Es wurde viel durcheinander geredet, viel unterbrochen, und an manchen Stellen redeten die Politiker einfach über die anderen drüber. Daher spricht Vizekanzler Heinz-Christian Strache nicht schriftreif, als er sagt:

Wir haben Haltung gezeigt und Stellung bezogen beim UN-Migrationspakt als Regierung, weil wir klar und deutlich zu den Inhalten, die dort drinnen stehen, in diesem Abkommen, wo über 80 Mal auch steht, die Staaten, die das auch unterfertigen, verpflichten sich, diese Inhalte, die unseren diametral entgegenstehen, umzusetzen, Gesetze zu adaptieren – …

Wenn man diesen Claim googelt, kommt man auf dubiose Blogs und Internetkommentare (oder Kommentare auf dubiosen Blogs) – und eine Zusammenfassung einer Nationalratssitzung auf der Website des Parlaments. Dort kommt dieselbe Aussage von Sebastian Kurz. Medienberichte oder sonstige seriöse Quellen dazu lassen sich nicht finden.

Wie kommt man also auf diese Aussage?

Eine Theorie: Man hat Wörter gezählt.

Sieht man sich den Originaltext des UN-Migrationspaktes an, kann man das überprüfen. Gibt man “Pflicht” ein, kommen sogar 107 Ergebnisse – meist in den Worten “verpflichtet” und “Verpflichtung”. Sucht man “verpflicht”, kommt man auf 91 Ergebnisse. Und viele Punkte starten mit den Worten “Wir verpflichten uns”.

Ein Teil von Straches Aussage ist also korrekt – im UN-Migrationspakt wird wirklich oft von Pflichten gesprochen. Aber wie kann man sich diese Pflichten vorstellen?

Wozu verpflichtet der UN-Migrationspakt?

Wie es mit diesen Pflichten aussieht, steht in Artikel 41 des Dokuments. Und zuerst sieht es wirklich aus, als hätte Strache recht mit seiner Aussage. Der Beginn des Artikels geht so:

Wir verpflichten uns, die im Globalen Pakt niedergelegten Ziele und Verpflichtungen im Einklang mit unserer Vision und unseren Leitprinzipien zu erfüllen und zu diesem Zweck auf allen Ebenen wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um eine in allen Phasen sichere, geordnete und reguläre Migration zu ermöglichen.

Wenn da nicht ein kleiner, aber wichtiger Einwand wäre:

Wir werden den Globalen Pakt in unseren eigenen Ländern und auf regionaler und globaler Ebene unter Berücksichtigung der unterschiedlichen nationalen Realitäten, Kapazitäten und Entwicklungsstufen und unter Beachtung der nationalen Politiken und Prioritäten umsetzen.

Viele sehen das als wesentlich an. Denn diese Formulierung erlaubt es den Staaten, mit Begründung auf “nationale Realitäten, Kapazitäten und Entwicklungsstufen” davon abzuweichen. Der Absatz schließt mit:

Wir bekräftigen unser Bekenntnis zum Völkerrecht und betonen, dass der Globale Pakt in einer Weise umgesetzt werden muss, die mit unseren Rechten und Pflichten nach dem Völkerrecht im Einklang steht.

Man muss aber gar nicht so weit lesen.

Bis man im Originaltext skeptisch werden kann, was die Verpflichtungen angeht, braucht man eigentlich nicht lange. Schon in der Präambel wird festgehalten:

Dieser Globale Pakt stellt einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen dar, der auf den Verpflichtungen aufbaut, auf die sich die Mitgliedstaaten in der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten geeinigt haben. In der Erkenntnis, dass die Migrationsproblematik von keinem Staat allein bewältigt werden kann, fördert er die internationale Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Akteuren im Bereich der Migration und wahrt die Souveränität der Staaten und ihre völkerrechtlichen Pflichten.

Was bleibt also übrig?

Das heißt auch: Der UN-Migrationspakt ist nicht einmal ein Vertrag, den man “unterfertigen” kann, wie Strache sagt. Es braucht keine Unterzeichnung, und es ist auch keine Ratifikation notwendig, wie der Völkerrechtsblog festhält.

Es ist ein Bekenntnis, eine Sammlung von Absichtserklärungen. Zwar formuliert das Dokument einige Maßnahmen – welche davon man trifft, können die Staaten aber selbst entscheiden. (Siehe Erklärung in der Presse.) Wenn sich ein Land dazu entscheidet, anders zu handeln, als es im Dokument steht, hat es also nichts zu befürchten.

Und somit stimmt es zwar, dass im UN-Migrationspakt viel von “Pflichten” steht – aber das heißt nicht, dass die Staaten Gesetze adaptieren müssen.

Fotocredit Heinz-Christian Strache (Kleines Bild): Parlamentsdirektion / Photo Simonis