Die Regierung sagt ausländischer Innenpolitik auf österreichischem Boden den Kampf an und will Wahlkampfaufritte von fremden Regierungspolitikern unterbinden. Wie das genau geschehen soll? Dazu war Bundeskanzler Christian Kern am 13. März bei der ZIB2 zu Gast.

Auch, wenn sich alle Parteien im Ziel einig sind, ist man bei der Umsetzung gespalten. Kern wäre eine europäische Lösung gegen Aufritte ausländischer Politiker am liebsten, Sobotka und die ÖVP pochen auf eine allgemeine Verschärfung des Versammlungsgesetzes. Kern kritisiert den Koalitionspartner und sieht eine Einschränkung eines Grundrechts:

„Jetzt unterscheidet sich aber der Vorschlag der ÖVP von unserem dadurch, dass das deutlich weiter geht und das Demonstrationsrecht großflächig einschränkt. Meine politische Partei und Vertreter meiner politischen Partei haben vor Jahren, vor Jahrzehnten dieses Demonstrationsrecht mit Blut erkämpft. Da gab’s Todesopfer. Und für uns ist das ein bedeutendes Recht und wir wollen nicht, dass es möglich wird, Demonstrationsfreiheit einzuschränken. Mir ist das absolut recht, wenn jemand gegen die Regierung demonstriert, das muss immer möglich sein in Österreich, aber wenn sich jemand Demonstrationsrecht herausnimmt, um die Abschaffung der Demokratie vorzubereiten, dann ist es ein Problem.“

Kern behauptet also, das Demonstrationsrecht sei von der SPÖ bzw. deren Vertretern erkämpft worden. Dabei sei viel Blut geflossen. Eine starke Aussage, aber was ist dran?

Werfen wir zuerst mal einen Blick auf die gesetzliche Lage: Laut Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, welche Verfassungsrang hat, ist Versammlungsfreiheit ein Grundrecht aller Bürger. Das Versammlungsgesetz hingegen regelt Demonstrationen detaillierter, es besagt beispielsweise, dass eine Versammlung 24 Stunden vorher gemeldet (aber nicht genehmigt) werden muss. Es existiert in leicht veränderter Fassung seit 1953.

Doch die Ursprünge gehen noch weiter zurück: Denn 1953 wurde – mit Änderungen – nur ein Gesetz von 1867 wiederverlautbart. Um zu erfahren, wie es dazu kam, muss man die Zeit noch weiter zurückdrehen.

1848 kam es in Österreich zu einer Revolution, in der sich vor allem Arbeiter, Studenten, aber auch Bürgerliche gegen die Kaiserherrschaft auflehnten. Franz Joseph I. erließ die sogenannte Märzverfassung, sie sah zwar Bürgerrechte vor, wurde aber ohne Mitsprache des Parlaments oder anderen Volksvertretungen beschlossen – was eine Verfassung eigentlich ausmacht. Sie wurde nie umgesetzt, und wenige Monate später letztendlich zurückgenommen. Die Proteste wurden niedergeschlagen und der Neoabsolutismus nahm seinen Lauf.

Im Dezember 1867 wurde das Staatsgrundgesetz erlassen, diesmal aber weniger aufgrund des Drucks „von unten“, sondern wegen der Niederlage gegen Preußen im Vorjahr, noch dazu gab es Zwist mit den ungarischen Adel. Das Gesetz ist deshalb grundlegender Bestandteil des österreichisch-ungarischen Ausgleichs. Im Staatsgrundgesetz wird den Bürgern Versammlungs- und Vereinsfreiheit eingeräumt, auch wenn politische Veranstaltungen weiter verboten blieben.

Erst nach der „Dezemberverfassung“ nahm die Arbeiterbewegung richtig an Fahrt auf. Wenige Tage später wurde der „Gumpendorfer Arbeiter-Bildungsverein“ gegründet. Das ist offenbar auch, was Kern gemeint hat:

Nur: Zu diesem Zeitpunkt gab es das Versammlungsrecht schon, und Blut floss in diesem Zusammenhang mit dem Verein schon mal gar nicht.

Sogar das Buch Sozialdemokratie in Österreich fasst das Staatsgrundgesetz 1867 so zusammen: „Obwohl diese Zugeständnisse in erster Linie an das Bürgertum adressiert waren, erhielt mit dem neuen Vereins- und Versammlungsrecht gerade auch die Arbeiterbewegung neue Aktionsmöglichkeiten.“ Die Publikation wird vom Renner-Institut herausgegeben, das immerhin die Parteiakademie der SPÖ ist.

Richtig an Kerns Aussage ist also, dass das Demonstrationsrecht „von unten“, von den Arbeitern, in langen, blutigen Kämpfen errungen wurde. Jedoch handelte es sich nicht um „Vertreter der SPÖ“, sondern um eine zunächst lose organisierte Arbeiterbewegung, die erst danach, nämlich 1888 in die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ aufging. Außerdem spielte sich das alles nicht „vor Jahrzehnten“, sondern inzwischen vor über 150 Jahren ab.

Wir bewerten die Aussage daher als halbrichtig.

Fotocredit Christian Kern (Kleines Bild): BKA / Andy Wenzel