“Mehr als 1,2 Millionen Menschen leben in Armut. In Österreich, in einem der reichsten Staaten der Welt.”

Der grüne Nationalratsabgeordnete Peter Pilz kritisierte am 25. Dezember 2016 über Facebook die Spendenaufrufe prominenter Regierungsmitglieder für “Licht ins Dunkel”. Er findet es fragwürdig, dass in Österreich – einem der reichsten Länder weltweit – die Armutsbekämpfung von der Barmherzigkeit privater Spender abhängt. Dies sei auf das Versagen der Regierung zurückzuführen, welche weiterhin auf die Besteuerung großer Konzerne und Vermögen verzichtet, so Pilz. Im Rahmen dieser Kritik verweist der Politiker der Grünen auf die 1,2 Millionen in Armut lebenden Menschen Österreichs. Das wären immerhin rund 14 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung. Liegt Peter Pilz mit dieser Zahl richtig? Lebt eine so große Menge österreichweit in Armut? Und wie wird Armut überhaupt definiert bzw. berechnet?

Aufschluss über diese Fragen bieten die Daten der EU-SILC. Die European Statistics on Income and Living Conditions sind Erhebungen, bei denen jährlich Informationen über die privaten Lebenssituationen von BürgerInnen der Europäischen Union gesammelt und aufgearbeitet werden. Bei den österreichweiten telefonischen Interviews (8182 zufällig aus dem Zentralen Melderegister ausgewählte Adressen) werden Fragen zu den Themenblöcken Einkommen, Wohnsituation, Gesundheit und soziale Teilhabe gestellt. Aus diesen Daten erstellte die Statistik Austria einen Tabellenband.

Bezüglich “Armutsgefährdung in Österreich” beinhalten die Statistiken folgende Daten: 13,9 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind basierend auf den Indikatoren der EU-SILC-Statistik “armutsgefährdet”. Diese Personen haben monatlich 1163 Euro oder weniger zur Verfügung – eine Zahl, die sich am Medianeinkommen Österreichs orientiert. In absoluten Zahlen sind das rund 1,2 Millionen Menschen, wodurch anzunehmen ist, dass Peter Pilz sich ebenfalls auf diese Daten stützt. Spitzenreiter in der Statistik ist Wien, gefolgt von Vorarlberg und Tirol. Ein Langzeitvergleich der Statistik Austria zeigt, dass sich die Anzahl der “armutsgefährdeten” Personen in den letzten zehn Jahren stetig vergößert hat. Hervorzuheben ist das Krisenjahr 2008, wobei ein Anstieg von über 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr festzustellen ist.

In der Überkategorie “armuts- und ausgrenzungsgefährdet” (18,3 %) sammeln sich neben den armutsgefährdeten Personen (13,9 %) auch jene, welche eine “geringe Erwerbsintensität” (8,2 %) besitzen und/oder “erheblich materiell depriviert” (3,6 %) sind. Darunter fallen Personen, welche sich aufgrund ihres geringen Einkommens wesentliche Güter oder Dienstleistungen – zum Beispiel Handy, PKW, Heizung oder das pünktliche Begleichen von Rechnungen – nicht leisten können. Auch der Sozialbericht des Sozialministeriums und die Armutskonferenz berufen sich auf diese Zahlen und Kategorien.

Hier nochmals eine übersichtliche Auflistung der oben beschriebenen Kategorien (Stand 2015):

  • Armuts- oder ausgrenzungsgefährdete Personen in mindestens einem der drei Bereiche: 18,3 % (1,551 Mio.)
  • Bereich 1: Armutsgefährdete Personen: 13,9 % (1,178 Mio.)
  • Bereich 2: Keine oder niedrige Erwerbsintensität: 8,2 % (526.000)
  • Bereich 3: Erhebliche materielle Deprivation: 3,6 % (302.000)

Der Begriff Armut findet eine häufige Anwendung im politischen Diskurs, obwohl die Definition meist sehr schwierig ist. Und es ist akzeptabel zu hinterfragen, ob die konkreten Lebenssituationen von Menschen anhand “bürokratischer” Kategorien und Statistiken wiedergespiegelt werden können, denn Armut ist in erster Linie ein subjektives Gefühl. Die oben zitierten Daten dienen primär der Politik, um einen Überblick über bestimmte Entwicklungen zu bekommen und mögliche sozialpolitische Maßnahmen zu setzen.

Wenn nun aber der österreichische Nationalratsabgeordnete Peter Pilz sich wohl genau an diesen Erhebungen orientiert, wäre es auch angebracht, die konkreten Begriffe zu verwenden. 1,2 Millionen in Armut lebende Menschen sind nicht gleichzusetzen mit 1,2 Millionen armutsgefährdeten Menschen. “Kann man argumentieren”, aber im Endeffekt ist das unpräzise. Aufgrund dieser Tatsache kann die Aussage von Pilz nur als halbrichtig gewertet werden.

Fotocredit Peter Pilz (Kleines Bild): Die Grünen